Vor jedem Bundesligaspiel gibt es in dieser Saison eigentlich ein Kurzinterview mit einem Fan/Blogger unseres Gegners. Dieses Mal stelle ich die drei Fragen jedoch nicht zum FSV Mainz 05 sondern zu unserem eigenen Verein – ein Interview mit mir selbst. Zwei Gründe: 1.) Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass der größte Gegner unserer Mannschaft sie selbst ist und 2.) mir ist ad hoc kein Mainz-Blog eingefallen und ich hatte zu wenig Zeit zu recherchieren und rechtzeitig Kontakt aufzunehmen (kennt jemand von euch ein Mainz05-Blog? Es gibt ja auch noch ein Rückspiel…). Die folgenden drei Fragen kann ich nur unvollständig beantworten. Ich habe es trotzdem versucht. Vielleicht fallen euch ja bessere Antworten oder Ergänzungen ein? Ich bin auf eure Meinung in den Kommentaren gespannt!
Werder gerät seit nun fast einem Jahr sehr häufig früh im Spiel in einen Rückstand, der dann mühsam aufgeholt werden muss. Dabei entsteht häufig der Eindruck, dass dies zu großen Teilen an fehlender Konzentration der Mannschaft liegt. Wie kommt es dazu und woran kann man ansetzen um dies zu ändern?
Wenn ich die Antwort auf die Frage hätte könnte ich irgendwann Thomas Schaaf beerben… Werders Spielweise, das Ideal unseres Trainers, ist ziemlich anspruchsvoll und basiert darauf, dass die gesamte Mannschaft voll konzentriert bei der Sache ist. Die offensive Spielweise, die hoch stehende Viererkette, die vielen Positionswechsel im Mittelfeld – das sind alles Risikofaktoren, die bei falscher Umsetzung katastrophale Folgen haben können. Je weniger eine Mannschaft absichert, desto schlimmer wirken sich individuelle Fehler aus. Es sind jedoch bei weitem nicht nur diese Fehler, die Werder anfällig machen. Defensiv arbeitet das Team häufig nicht geschlossen und diszipliniert genug nach hinten. Die Mannschaft lässt sich daher viel zu häufig mit einfachsten Mitteln auseinandernehmen. In dieser Saison kommen noch häufige (teils freiwillige, teils unfreiwillige) Wechsel am Personal hinzu. Das Team, das in den letzten beiden Spielen auf dem Platz stand, kann noch gar nicht richtig eingespielt sein.
Ansatzpunkte um etwas an den Probleme zu ändern gibt es einige: Tiefer stehende Viererkette, allgemein abwartendere Spielweise, weniger Positionswechsel, mehr taktische Disziplin. Wie man sieht gehen diese Ansatzpunkte alle auf Kosten der Offensivstärke und sind selbstverständlich keine Garantie für einen Erfolg. Außerdem gibt es ja durchaus Mannschaften, die sehr offensiv ausgerichtet sind und trotzdem wesentlich weniger Gegentore kassieren als Werder. Die richtige Balance zwischen Defensive und Offensive ist irgendwann ums Jahr 2007 abhanden gekommen und wird seitdem händeringend gesucht. Vor einem Jahr sah es ganz gut aus, da war man schon mal weiter. Nun beginnt man die Suche wieder von vorne.
Andererseits ist Werder inzwischen auch sehr gut darin im Spiel die Leistung zu steigern, Rückstände aufzuholen und Spiele zu drehen. Woher nimmt das Team die mentale Kraft, sich immer wieder aus scheinbar aussichtslosen Situationen zurück zu kämpfen? Warum können diese Leistungen nicht von Anfang an gezeigt werden?
Woher die Mannschaft die Kraft nimmt weiß ich nicht, ich kann nur vermuten. Vielleicht liegt es an der unglaublichen Saison 08/09. Wer in Mailand ein 0:2 aufholt, wer in Unterzahl ein entfesselt aufspielendes Hoffenheim besiegt, wer sich innerhalb weniger Wochen in drei Wettbewerben gegen den Erzrivalen durchsetzt, der kann eben auch in Nürnberg oder zuhause gegen Stuttgart Rückstände aufholen. Jeder weitere Erfolg stärkt das Selbstvertrauen, bekräftigt den Glauben an die eigene Stärke. Inzwischen ist selbst ein 0:2 gegen Tottenham oder ein 0:3 gegen Sampdoria schon kein Grund mehr, die Hoffnung aufzugeben. Das Risiko besteht natürlich darin, dass die Mannschaft irgendwann so sehr von ihren Qualitäten überzeugt ist, dass die Konzentration verloren geht, nach dem Motto “0:1 ist ja nicht so schlimm”. Vielleicht ist das ein Grund für die teils unterirdischen Leistungen zu Beginn eines Spiels. Man fragt sich schon, wozu diese Mannschaft fähig sein könnte, wenn sie diese schlampigen Phasen nicht hätte. Ob sie dann trotzdem solch einen Kraftakt wie beispielsweise in Genua schaffen würde? Es wäre dann ja gar nicht mehr unbedingt notwendig.
Nicht nur einzelne Spiele gleichen bei Werder häufig einer Achterbahnfahrt, sondern meistens auch der Saisonverlauf. Auf tolle Siegesserien folgen wochenlange Krisen. Werder scheint immer unberechenbarer zu werden. Im Ergebnis war Werder in den letzten Jahren trotzdem konstant wie kaum eine andere Mannschaft (in sechs der letzten sieben Jahre in den Top 3). Woher kommen die großen Leistungsschwankungen und wo ist Werder leistungsmäßig wirklich anzusiedeln?
Die Platzierungen am Ende der Saison sind der beste Indikator für die tatsächliche Leistungsstärke: Werder ist fast immer eine der besten Mannschaften der Bundesliga, aber selten die allerbeste. Die Leistungsschwankungen, also die Abweichungen vom Durchschnitt, sind zumindest dem Empfinden vieler Fans nach größer als bei anderen Mannschaften. Statistisch kann man sagen: Die Standardabweichung ist höher. Meiner Meinung nach gibt es dafür zwei Gründe: Zum einen birgt Werders Spielweise größere Risiken als die vieler anderer Mannschaften, kann daher bei Nicht-Gelingen zu größeren Misserfolgen führen, auf der anderen Seite aber auch eine Leistung ermöglichen, die andere (im Schnitt gleichstarke) Mannschaften nicht erreichen. Zum anderen wirkt die offensive, spektakuläre Spielweise “besser” als eine nüchterne, ergebnisorientierte Spielweise. Man nimmt eine Leistung deshalb häufig stärker war, als sie eigentlich ist. Dadurch erhöht sich die Fallhöhe und Misserfolge werden als noch größere Enttäuschung wahrgenommen.
Dein Tipp?
Ich wünsche mir ein souveränes und etwas langweiliges 2:0, aber ich rechne mit einem hart umkämpften 3:2.
Der Artikel 3 Fragen zu Werder Bremen wurde veröffentlicht auf Meine Saison mit dem SVW.